InGes Ansicht: Mit wem spreche ich wirklich?
Vom Segen und Fluch der Anonymität im Netz.
Anonymisierung, Pseudonymisierung und Fakeprofile sind, während wir von massenhafter Ausspähung privater Daten durch Staaten und Organisationen sprechen, interessante Themen für User – können sie doch dem Schutz der eigenen Daten dienen. Und einige Plattformen bieten ihren Nutzern die Möglichkeit, sich etwas geschützer zu bewegen. Doch was kann geschehen, wenn wir uns von Klarnamen und zuordenbaren Profilen verabschieden? Und wie begegnet man denen, die rein kriminelles oder gewalttätiges Interesse an falschen bzw. geschützten Profilen hegen? InGes Ansicht:
Anonymisierung ist doch nicht schlimm.
Gemeint ist hierbei die Veränderung von Daten, bis sie nicht mehr direkt und zweifelsfrei einer bestimmten Person zuzuordnen sind. Meist steht dann in Foren-Kommentaren o. ä. anstelle des Namens des Autors „Gast“ oder „Unbekannt“. Man mag meinen, dass die Anonymisierung ausschließlich Vorteile für um Datensicherheit bedachte Internetnutzer mit sich bringt. Dem ist meiner Meinung nach jedoch nicht so.
Sicher ist, dass User sich im Schutz der Anonymisierung freier bewegen können und nicht befürchten müssen, von anderen Nutzern ausspioniert, verfolgt oder im schlimmsten Fall sogar bedroht zu werden. Mit einem anonymen Profil (beim genaueren Betrachten schließen sich diese beiden Wörter gegenseitig eigentlich sogar aus) kann eine Position, gerade wenn sie sehr kontrovers bzw. gesellschaftlich ungewollt ist, sicherer vertreten werden, ohne dass Repressalien befürchtet werden müssen. Ziel kann es also sein, eine Meinung, die ohne die Möglichkeit einer anonymen Abgabe ggf. ungehört wäre, zu äußern. Die Meinungsfreiheit wird dadurch gesichert.
Auf der anderen Seite muss jedoch bedacht werden, dass gerade im Schatten der Anonymität das Potential für Verbrechen steckt. Vor allem bei Themen wie Verleumdung, Rufschädigung, Stalking oder auch Bedrohungen, wie sie im Netz tagtäglich geschehen, kann der große Nachteil der anonymen Beteiligung zum Tragen kommen. Täter können logischerweise nur schwer ermittelt werden und Opfer sind den Peinigern ggf. für eine lange Zeit hilflos ausgeliefert. Hier muss der Betreiber der jeweiligen Plattform eingreifen, kriminelles Verhalten unterbinden und bei der Aufklärung unterstützen.
Von Pseudonymisierung und Fakeprofilen bis Identitätsklau
Im Grunde sind diese Methoden der Anonymisierung recht ähnlich. Der eigentliche Mensch hinter dem Profil ist nicht erkennbar. Er verwendet statt seines Namens ein Pseudonym, im besten Fall einen Fakenamen, der niemandem (nicht sich selbst und auch niemandem sonst) zuordenbar ist. Klassiker wie Tom Ate, Frank Iert oder auch Bernhard Diener weisen recht deutlich darauf hin, dass es sich hier um einen Fake handeln muss. Auch hier kann sich der Nutzer quasi anonym bewegen, die gleichen Vorteile genießen aber eben auch den gleichen Schaden anrichten.
Gefährlicher wird es dann, wenn Personen Namen bzw. Web-Identitäten real existierender Menschen annehmen. Ich spreche nicht von prominenten Opfern – hier werden die Täter meist schnell ermittelt oder zumindest die Fakeprofile sehr schnell offline gesetzt. Geschieht ein Identitätsklau jedoch einem „normalen“ Internetnutzer, kann der Schaden ungeahnte Ausmaße annehmen. Erst vor Kurzem passierte ein solcher Fall in meinem Bekanntenkreis. Das Facebook-Profil einer jungen Frau, nennen wir sie Sandra, wurde kopiert. Informationen, einige Bilder und Texte wurden einfach eins zu eins übernommen. Lediglich im Nachnamen wurde ein Buchstabe (ein dann doppelter Konsonant) hinzugefügt. Ansonsten waren Original und Fälschung nicht zu unterscheiden (vom „Beitrittsdatum“ zu Facebook mal abgesehen). Man hätte also denken können, Sandra hätte sich ein zweites Konto angelegt oder wollte einfach – aus welchen Gründen auch immer – ein neues Profil. Meine Freundin hat die kurze Zeit später eintreffende Freundschaftseinladung dann auch direkt angenommen und bis zur Aufklärung taten es ihr dutzende Menschen gleich. Erst der Hinweis einer weiteren Freundin und der darauffolgende Appell der echten Sandra führte zur Lösung der Situation. Die Fake-Sandra wurde massenhaft gemeldet und existiert inzwischen nicht mehr. Scheinbar versuchte jemand über dieses Profil (mindestens) ein PayPal-Konto zu verifizieren. Zumindest berichteten einige von Sandras Freunden im Anschluss, dass sie vom neuen Profil nach ihrer Telefonnummer gefragt wurden und kurz darauf eine Bestätigungs-SMS von ebendiesem Finanzdienst erhielten.
Das hinterhältige Erschleichen weiterer Daten ist sicher nur eine der vielen Sachen, die unter dem Namen eines anderen angestellt werden können. Nicht auszudenken, was in privater, beruflicher und finanzieller Hinsicht passieren kann, wenn das eigene (Online-)Profil kopiert wird.

Und dann ist da noch die Verrohung
Eingangs sprach ich davon, dass Anonymisierung (und damit auch Pseudonymität) auch zu Meinungsfreiheit führt. Dabei werden natürlich auch Meinungen gestreut, die zu Gewalt und Hass aufrufen oder einfach nur unsinnig sind. Passende Beispiele lassen sich derzeit immer wieder auf allen möglichen „Städtchen XY wehrt sich. Nein zum Heim“-Facebookseiten finden. Neben vielen vermutlich echten Profilen (und damit auch echten Idioten) sammeln sich auch dort immer wieder augenscheinliche Pseudonyme und Fakeprofile. Der Grund dafür ist einleuchtend: Eine Meinung zu vertreten, die gesellschaftlich (zu Recht) alles andere als akzeptiert ist, bedeutet auch, sich Diskussionen, Argumenten und im schlimmsten Fall ebenso Anfeindungen zu stellen. Und dies verlangt in aller erster Linie eines: Mut. Unter einem Pseudonym zu schreiben, welches keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Identität zulässt, erleichtert das Leben. Im echten Leben wird die Gesinnung weitestgehend vertuscht, während sie online unter falschem Namen voll ausgelebt werden kann. Da kann dann eben auch zu Gewalt und Mord aufgerufen werden – es weiß ja niemand, wer wirklich dahinter steckt.
Und wie nun damit umgehen?
Je nachdem um welche Form es sich handelt, gibt es im Grunde nur drei Möglichkeiten: Ansprechen, Ignorieren oder Melden. Ansprechen und diskutieren würde ich bei allen echten Profilen und anonymen „Gästen“. Offensichtliche Fakeprofile sollten ignoriert oder öffentlich als solche enttarnt werden. Und vermutlich gestohlene Identitäten müssen gemeldet werden – an das Original und auch den jeweiligen Portal-/ Netzwerkbetreiber.
Anonymität im Netz ist ein schon recht lange diskutiertes Thema und, wie immer, gibt es hier keine eindeutig richtige und eindeutig falsche Meinung. Meiner Ansicht nach kann Anonymität je nach Thematik und Ziel sinnvoll sein. Vor allem in Situationen (oder auch Ländern) in denen Repressalien zu befürchten sind, stellt sie einen sinnvollen Weg zur Streuung einer evtl. „gefährlichen“ Meinung dar. Auf der anderen Seite wird das Mittel der Anonymität leider auch zu oft ausgenutzt um an Daten zu kommen, Hass zu schüren oder andere Verbrechen zu begehen. Hier muss eingegriffen werden. Von uns, von allen Nutzern.